Der Journalismus hat sich im Laufe seiner mehr als 2000 Jahre währenden Geschichte jeweils der neuesten Technologien bedient. Das ist der erste Satz im Wikipedia-Eintrag „Geschichte des Journalismus“. Was da nicht steht: Es hat meist immer etwas länger gedauert und die allermeisten Journalisten hatten keine sonderlich große Lust auf technologische Veränderungen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass unbemannte Luftfahrzeuge noch keinen Einzug in deutsche Redaktionen gefunden haben.
Fliegen, Filmen, Veröffentlichen – in HD
In den letzten zehn Jahren haben unbemannte Luftfahrzeuge, auch Drohnen genannt, ihren Weg aus militärischen Labors in den Elektromarkt nebenan gefunden. 1998 nutzte die Bundeswehr im Kosovo-Konflikt Drohnen. Heute kann jeder für rund 300 Euro einen so genannten Quadrocopter kaufen, den man über ein iPhone steuern kann. So eine Quadrocopter fliegt zwar nur etwa 10 Minuten lang, dafür eingebaut sind zwei Kameras mit Front- und Bodenansicht. Die neuste Generation der A.R. Drone streamt die Filmaufnahmen der integrierten HD Kamera mit 720p auf das Steuergerät (iPhone / iPad).
Das ist eine Werbevideo der Firma Parrot. Sie wird u.a. in den Amazon-Kundenrezensionen gescholten, mit den Produktvideos eine zu hohe Erwartungshaltung aufzubauen. Die Steuerung und Handhabung der Drohne ist im echten Leben offenbar komplexer und fehleranfälliger. Dafür kann der gemeine
Prosument ab jetzt erstaunliche HD-Videos drehen.
Für Aufmerksamkeit gesorgt haben die Aufnahmen einer polnischen Demonstration im November 2011.
Der Drohnen-Journalismus ist da, titelte Robert Mackey im Lede-Blog der New York Times über die Aufnahmen, die die polnische Firma mit dem schönen Namen Robokopter ins Netz gestellt hatte. Angefertigt übrigens mit einer etwas teureren und besseren Drohne als dem Ding aus dem Elektromarkt.
Umschlingen Sie neue Technologien
Kaum drei Wochen später startete Professor Matt Waite von der University of Journalism and Mass Communicationa in Nebraska das so genannte Drone Journalism Lab - „as a way to explore how drones could be used for reporting.“ Waite ist – so steht es auf der Institutsseite – Professor of Practice und er macht seinem Namen alle Ehre. Gekauft hat er eine A.R. Drone, die er inzwischen mit einer GoPro HD Kamera ausgestattet hat. Die Ergebnisse sind noch weit davon entfernt super zu sein, aber Waite hat ein „Embrace new Technologies“ auf jeden Fall verinnerlicht.
Komisch, dass deutsche Journalisten und Redaktionen sich nicht sonderlich für die Technologie zu begeistern scheinen. So berichtet Harald Staun im Sommer 2011 in der FAS ausführlich über den „Journalismus von oben“, stellt fest, dass „die Mini-Drohnen als fliegende Paparazzi wie geschaffen für die Recherchemethoden des Boulevardjournalismus“ seien und konstatiert richtig: „Es gibt sie im Elektromarkt, aber im Journalismus sind sie noch nicht angekommen.“ Zuständig fühlt man sich offenbar nicht. Dabei können Drohnen im Journalismus mehr als Boulevard.
Rupert Murdochs im Februar 2011 gestartetes iPad-Experiment
The Daily nutzte im vergangenen Jahr Drohnen zur Flut-Berichterstattung und bekam prompt Ärger mit der amerikanischen FAA (Federal Aviation Administration), denn „civil and commercial use is limited to research and development.“ Die FAA wiederum rückt noch nicht so recht mit Informationen raus wer da eigentlich alles so unbemannt über die USA fliegt. DieElectronic Frontier Foundation hat am 10. Januar 2012 Klage eingereicht.
Damit ist die Debatte eröffnet, denn neben der zweifelsohne sinnvollen Nutzung von Drohnen bei der Wartung von Windrädern oder der Überwachung von brennenden Wäldern, verletzten mit Kameras ausgestattete Fluggeräte natürlich gerne auch mal die Privatsphäre. War ich als Celebrity in meinem Loft im 26. Stock auch ohne Gardinen vor Paparazzi relativ sicher, so schaut mir jetzt bald vielleicht die Drohne mit Video-Livestream durch das Fenster. Mit seinem Drone Journalism Lab will Waite auch dringende ethische und moralische Fragen des Drohnenjournalismus beantworten.
Fliegende Teleobjektive
Nachdem die deutsche Polizei bei Castor-Transporten bereits 2010 Drohnen zur Überwachung eingesetzt hat, soll übrigens ein neuer Gesetzentwurf die zivile Nutzung von Drohnen in Deutschland klären. Währenddessen diskutiert man anderswo die mögliche zukünftige Grenzüberwachung der EU mittels Drohnen (EU will mehr Drohnen gegen Migranten einsetzen), plant die britische Regierung eine Drohnenoffensive zur Olympiade 2012, forschen Wissenschaftler über mögliche Einsatzgebiete, beschäftigen sich Juristen mit dervölkerrechtlichen Einhegnung militärischer Drohnen während die US-Regierung ihre neue Verteidigungsstrategie klar auf Drohnen auslegt, überlegen Architekten wie man mit Drohnen in Zukunft Häuser bauen kann, basteln Bastler an ausgeklügelten Privatdrohnen, gibt es eine Weltmeisterschaft im Drohnenfliegen und Unternehmer bieten ihre Dienste inkl. Leihdrohnen an.
Auch deutsche Journalisten sollten sich vielleicht ein wenig aktiver, experimentierfreudiger und zukunftszugewandter mit Drohnen auseinandersetzen. Die Schweizer Kollegen nutzen sie gerade bei derSportberichterstattung.