Der Anfang vom Ende: Demontage eines Stahlwerks. Foto: Wolfgang Kunz
In Oberhausen beginnt die Nacht schon um 21 Uhr. Weil die Verkehrsbetriebe namens Stoag sparen müssen, fahren die regulären Busse bald zwei Stunden kürzer und nicht mehr bis 23 Uhr. Ohnehin gibt es in den Ferien weniger Verbindungen und eine Schnellbuslinie wurde komplett eingestellt. Aber es reicht immer noch nicht. "Wir müssen noch viel mehr sparen", sagt Sabine Müller von der Stoag. Bald könnten noch ein paar Linien dran glauben.
Oberhausen ist nur einen Katzensprung von den Niederlanden entfernt und mit dem gläsernen Centro thront das größte Einkaufszentrum Europas auf seinem Grund. Aber die 200.000-Einwohner-Stadt ist pleite. Knapp zwei Milliarden Euro schuldet die Stadt den Banken, jedes Jahr kommen viele Millionen hinzu.
Die leere Stadtkasse soll auf bisweilen groteske Weise gefüllt werden. So hat die Kommune eine Steuer für Prostituierte eingeführt, die sie für den Freier-Raum bezahlen müssen. Grünflächen werden seltener gemäht. Bücherbusse fahren schon lange nicht mehr durch die Viertel, das Musiktheater ist schon seit 17 Jahren dicht. Und Schwimmbecken können die Bürger lange suchen: Vier von sieben Bädern wurden im Lauf der Jahre geschlossen.
"Wir wollen uns diesem Spardiktat nicht beugen", sagt Klaus Wehling, SPD-Oberbürgermeister von Oberhausen. Er ist an der Spitze einer Bewegung von 19 bankrotten Kommunen aus dem Ruhrgebiet, die vom Düsseldorfer Landtag in einem "Memorandum" Geld fordern. Sie zusammen haben ein Drittel aller Kassenkredite in Deutschland aufgenommen, obwohl nur jeder zwanzigste Bürger hier lebt. Sie wehren sich gegen das nordrhein-westfälische Finanzministerium, das den Städten vorhält, selbst sparen zu müssen. "Wir haben nie in Saus und Braus gelebt", sagt Wehling.
Denn der Bankrott kam nicht über Nacht. Schon seit Anfang der 1990er Jahre hatte Oberhausen keinen ausgeglichenen Haushalt mehr. Als sich die Kohle- und Stahlindustrie aus der Ruhrgebietskommune zurückzog gingen 30.000 Jobs verloren - das war jeder zweite Arbeitsplatz. Steuergeld ging flöten und Zehntausende von Arbeitslosen haben zusätzliches Geld gekostet. Seitdem muss die Stadt stetig mehr für die Betreuung von Menschen ohne Job und Jugendlichen ausgeben. Die Gewerbesteuer, wichtigste Einnahmequelle der Stadt, macht trotz des schillernden Centro immer nur einen Bruchteil der Ausgaben wett.
Eine wirklich gute Idee, wie die Städte sparsamer leben und mehr Geld einnehmen können, haben die Kämmerer und Rathausbosse nie gehabt. Dabei trifft auch sie eine Mitschuld: Falsche Prognosen über zukünftige Bevölkerungszahlen haben die Infrastruktur in den 1970er Jahren unvernünftig wachsen lassen. Oberhausens Friedhöfe, Straßen und Schulen sind für 270.000 Bürgerinnen und Bürger ausgelegt, im Augenblick wohnen hier aber nur 200.000 Menschen.
"Niemand ist ohne Fehler", sagt Klaus Wehling dazu. "Aber wir haben nicht wie Banker gezockt und geschlampt." Wehling und seine Mitstreiter sind sauer, dass die schwarz-gelbe Düsseldorfer Koalition nicht wie für ihre Landesbank WestLB auch für die Pleite-Städte einen Schutzschirm aufspannt, ihr Eigenkapital sichert und Ausgaben wie das Wohngeld reduziert. Und vor allem: Die West-Städte wollen den Transfer in den Osten über den Solidarpakt stoppen. "Wir müssen Kredite aufnehmen und für die heute schon vielfach bessere Infrastruktur in den neuen Bundesländern zahlen", sagt Wehling. Dieselben Investitionen seien ihnen in den eigenen Städten von der Kommunalaufsicht verboten.
Wehling und seine Rathauskollegen verstecken ihre Armut nicht mehr - im Gegenteil. Jeder Kämmerer wiederholt immer wieder gerne und öffentlich eindrucksvolle Zahlen und Kredithöhen. Inzwischen ist im Ruhrgebiet beinahe ein Wettrennen entstanden, welche Stadt die ärmste ist. Nur eine Lösung hat noch niemand gefunden.