Lebensmittel für Armehttp://www.swr.de/nachrichten/-/id=396/rid=9916768/nid=396/did=9914648/1a3n8se/
Tafeln machen Armut erträglich. Sie schaffen Armut aber nicht ab. Kritiker werfen den Betreibern deshalb vor, den Staat aus der Verantwortung zu nehmen. Dar Argument: Tafeln verhindern, dass das Problem Armut im reichen Deutschland bekämpft wird.
Tafeln sind eine Wohlfahrtsagentur, auf die man sich verlassen kann, sagt Stefan Selke von der Hochschule Furtwangen. An diesem im Grundsatz löblichen Engagement hat der Soziologieprofessor einiges auszusetzen: "Je mehr Erfolg die Tafeln haben, je mehr sie ein Pannendienst der Gesellschaft werden, desto geringer wird der Druck sich mit dem Problem zu beschäftigen." Der Wissenschaftler befasst sich seit Jahren mit den Tafeln. Es sei nicht ausreichend, nur auf private Wohltätigkeit zu setzen. Die Arbeit der Tafeln führe dazu, dass Politik und Öffentlichkeit die Augen vor der Wirklichkeit verschließen: "In Deutschland sind 15 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet", sagt der Soziologe. Diese Tatsache müsse endlich von der Mehrheit der Gesellschaft akzeptiert werden.
Das Leitbild der Tafeln stimmt nicht mehr
Bundesverband Deutsche Tafel e.V.
Die Idee, Bedürftigen zu helfen, geht auf eine Initiative in Berlin zurück. 1993 gründeten Frauen die erste Tafel, um die Situation der Obdachlosen in der Stadt zu verbessern. Inzwischen gibt es etwa 900 solcher Einrichtungen in der gesamten Bundesrepublik. Sie versorgen täglich rund 1,6 Millionen Menschen - darunter 300.000 Kinder. Zehntausende Tonnen Lebensmittel werden jährlich von den Tafeln verteilt. Die Mitarbeit in der deutschen Bevölkerung ist groß. Etwa 50.000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich für die Tafeln.
Viele Tafeln werden inzwischen auch von den Wohlfahrtsverbänden betrieben. Professor Selke berichtet, dass die Kommunen teilweise Gehälter für Mitarbeiter zahlen, die bei Tafeln beschäftigt sind. Außerdem gebe es Mietzuschüsse, KFZ-Gebühren würden teilweise übernommen. Die Trennung der privaten Wohltätigkeit und der öffentlichen Wohlfahrt ist mancherorts längst nicht mehr so eindeutig, wie viele glauben. Die Tafeln suchen nach Lücken, in die sie neue Angebote platzieren können. "Aus dem Leitbild Überflüssiges an bedürftige Menschen zu verteilen, wurde zunehmend das Leitbild Fehlendes zu ersetzen", kritisiert der Soziologe. Viele Tafeln betrieben schon lange nicht mehr ihr ursprüngliches Kerngeschäft. Professor Selke hat den Trend zum 'Rundum-Angebot' ausgemacht: "Es gibt Brillentafeln, Medikamententafeln, Tiertafeln, Sporttafeln. Die Tafeln haben sich zu einer Marke entwickelt. Sie schaffen immer mehr Produkte, sowie Tchibo eben nicht nur Kaffee verkauft, sondern auch Reisen, T-Shirts und Küchenutensilien."
Gerd Häuser, Bundesverband Deutsche Tafel e.V.PRO: "Wir leisten einen wertvollen Beitrag in der Gesellschaft"
Die Tafeln - Hilfe für Bedürftige
- Für den Einkauf wird ein gültiger Ausweis benötigt, den die Tafel ausgestellt hat.
- Die Anzahl der Einkäufe pro Woche ist reglementiert. Die Tafeln handeln nach der Devise: wer mehrere Personen versorgen muss, darf öfter die Tafel nutzen.
- Etwa 50 Prozent der Bedürftigen kommen aus der Gruppe der Rentner.
Von der Armenspeisung zum Hilfsnetzwerk
Die Tafeln haben ihre Arbeitsweise in den knapp 20 Jahren ihres Bestehens immer weiter perfektioniert. Beauftragte telefonieren und mailen die Nahrungsmittelfabriken regelmäßig an und fragen direkt, welche Lebensmittel kostenlos abzugeben sind. Einzelne Tafeln, wie die Einrichtung in Rastatt, haben große Lagerkapazitäten aufgebaut. Sie können kleinere Tafeln in der Umgebung beliefern. Die Tafel-Fahrer nehmen zunächst einmal alles mit. Schimmelige und vergammelte Ware wird erst später aussortiert. Das bedeutet aber auch, dass die Tafeln ein Teil des Lebensmittelsystems geworden sind, in dem Überproduktion, Frischewahn und Mindesthaltbarkeitsetiketten an der Tagesordnung sind. Für den Chef des Bundesverbandes 'Deutsche Tafel', Gerd Häuser ist die Arbeit seiner Einrichtungen deshalb auch ein konkreter Beitrag im Kampf gegen die Wegwerfgesellschaft: "Ohne die Tafeln würde eine Masse an Lebensmitteln weggeschmissen. Tafelbezieher bekommen keine Almosen. Sie sind Teil dieser Lebensmittelrettung."