Journalistische Bilder sind objektiv und zeigen die Wirklichkeit. Mit dieser naiven Vorstellung räumt der italienische Fotograf Ruben Salvadori gründlich auf.
Ein Schritt zurück und die Wirklichkeit sieht anders aus. Oder vielleicht eher das, was wir tagtäglich als Wirklichkeit wahrnehmen – tausendfach festgehalten in den Aufnahmen von Fotojournalisten, millionenfach verbreitet durch die Medien. Wie sehr der Schein trügen kann, führt uns mit seinem Projekt Photojournalism Behind the Scenes der italienische Fotograf Ruben Salvadori vor Augen.
Mit der Fotografie begann der 22-Jährige vor vier Jahren während seines Studiums der Internationalen Beziehungen und Anthropologie in Jerusalem. Mit dem Wunsch im Kopf, die Gesellschaft und die Menschen in Israel besser verstehen zu können, machte sich der junge Mann auf die Suche nach Motiven. Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zog ihn besonders an.
Heraus kamen ausdrucksstarke Bilder, wie man sie regelmäßig in Zeitungen, auf Websites, im Fernsehen findet: Steine fliegen, Müll brennt auf der Straße, Polizisten verstecken sich hinter ihren Schilden. Doch Salvadori trat den entscheidenden Schritt zurück und nahm seine Kollegen mit in den Sucher.
FOTOSTRECKE
© Ruben Salvadori
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Der Effekt ist erschreckend: Lediglich die Wahl eines anderen Ausschnitts, eines anderen Blickwinkels lässt dramatische Szenen plötzlich harmlos wirken. Zugleich entlarvt sie die kleinen und großen Tricks der Fotografen, die von der leichten Verfälschung durch Weglassen bis zur bewussten Manipulation und Inszenierung reichen.
Bilder können die Wirklichkeit nicht einfangen
Aus den grimmig schauenden Sicherheitskräften, bei denen der Betrachter gleich die wütenden Demonstranten auf der anderen Seite mitdenkt, werden so drei Polizisten, die auf einer leeren Straße miteinander reden. Ganz nah vor ihnen kniet der Fotograf. Von Gewalt keine Spur.
Andere Bilder entlarven, wie Jugendliche mit vermummten Gesichtern, in der Hand Steine, im Hintergrund Rauch und Flammen, nur für die Aufnahme posieren. Auch hier zeigt Salvadori: Der Konflikt, den das Foto belegen soll, findet eigentlich nicht statt. Jedenfalls nicht an diesem Ort, nicht zu dieser Zeit.
Das Projekt Behind the Scenes vermittelt anschaulich, was jeder seriöse Fotojournalist weiß, aber selten offen ausspricht: Ein Bild fängt nie die Wirklichkeit als solche ein. Schon die Wahl eines Ausschnitts konstruiert eine neue Realität. Und der Beobachter, so objektiv er sich auch gibt, so sehr er auch am Rande bleibt, kann niemals neutral sein: Seine Anwesenheit verändert das Geschehen.
Naives Vertrauen in die Objektivität der Bilder
Der Eindruck eines vermeintlichen Wirklichkeitsbezugs journalistischer Fotografie ist dabei historisch erlernt. Er hat mit dem Vertrauen zu tun, das wir in die dokumentarische Qualität solcher Aufnahmen setzen. Doch diese Sicht war schon naiv, bevor die Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht haben, welche Verantwortung nicht nur auf dem Fotografen, sondern auch auf den Medien lastet, die ein Bild auswählen, weitergeben, mit Kontext versehen.
Immer zeigt das Foto nur einen Ausschnitt all dessen, was am Ort des Geschehens zu sehen gewesen wäre. Wir ergänzen die gedachte Wirklichkeit außerhalb der Begrenzung und greifen dabei auf eigene Erfahrungen, Kenntnisse und vom Bild selbst angedeutete Zusammenhänge zurück. Die auf einen Sekundenbruchteil reduzierte Aufnahme kann zudem nicht widerspiegeln, dass die Realität vor allem ein Prozess und eben kein Moment ist.
Was aber heißt das für den Betrachter, der doch in journalistischen Bildern faktische Informationen vorzufinden glaubt? Salvadoris Projekt besitzt zweifellos die Macht, das Vertrauen in die Medien in dieser Hinsicht zu beschädigen. Kritik von Kollegen hat sich der Italiener bereits zugezogen. Doch ihm lediglich zu unterstellen, er beschädige das Ansehen der unzähligen ernsthaften, ihre Arbeit reflektierenden Fotoreporter, die doch oft so wichtig sind, um überhaupt etwas aus Krisenregionen zu erfahren, greift viel zu kurz.
Ein Reporter ist nie bloß Beobachter
Die eigentliche Stärke von Salvadoris Projekt liegt deshalb darin, etwas wieder ins Bewusstsein zu holen: Das sind alles bloß Menschen, vor wie hinter der Linse, unabänderlich subjektiv, mit eigener Perspektive, eigenen Interessen. Im Grunde ist es ein Appell an seine Kollegen, immer wieder neu das eigene Tun zu reflektieren.
Man machte es sich allerdings zu einfach, sähe man die Verantwortung ausschließlich bei den Fotografen. Allein schon die Erwartungen der Abnehmer und Konsumenten, die Gier nach Spektakulärem, geboren aus einem wahnwitzigen Überangebot an Bildern, sind ebenso ein wichtiger Teil dieses Prozesses.
Zwar können Bildagenturen und Redaktionen, die sich später für ein bestimmtes Bild entscheiden, nicht ohne Weiteres wissen, was außerhalb des Ausschnitts, was vor und nach der Aufnahme passierte. Doch gerade deswegen ist Salvadoris Arbeit so wichtig. Sie ist ein Appell an Medien und ihre Nutzer, sensibel zu bleiben, genau hinzuschauen und die richtigen Fragen zu stellen.
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